Der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat hatte über die Frage zu entscheiden, nach welchen Regeln schweizerische Aktiengesellschaften zu behandeln sind, die ihren Verwaltungssitz in Deutschland haben und vor den deutschen Gerichten klagen. Die Klägerin ist eine in der Schweiz ordnungsgemäß gegründete Aktiengesellschaft, die in dieser Rechtsform vor dem Landgericht Essen aufgetreten ist und von den Beklagten Miete wegen der Überlassung von Grundstücken in Gelsenkirchen verlangt hat.
Die Parteien haben u. a. darum gestritten, ob die Klägerin ihren Verwaltungssitz in der Schweiz oder in der Bundesrepublik Deutschland hat und welche Folgen sich daraus für die Prozessführung vor deutschen Gerichten ergeben.
Die Beklagten haben sich auf die sog. Sitztheorie" berufen, wonach die ausländische Gesellschaft mit der Verlegung ihres Verwaltungssitzes nach Deutschland aufgelöst ist, ihren Status als juristische Person verliert und deswegen nicht mehr vor deutschen Gerichten klagen kann. Die Klägerin hat dagegen gemeint, sie müsse genauso behandelt werden wie eine Gesellschaft, die in einem Staat der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) nach deren Recht gegründet worden sei; diese könnte aufgrund der in der EU und dem EWR geltenden Niederlassungsfreiheit ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegen und müssten deswegen im Inland mit ihrem Status als ausländische Gesellschaft anerkannt werden.
Das OLG Hamm hatte der Klägerin Recht gegeben und die Revision zugelassen. Der II. Zivilsenat hat – im Ergebnis - dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Dabei hatte er für das Revisionsverfahren als richtig zu unterstellen, dass die Klägerin ihren Verwaltungssitz in Deutschland hat. Der Senat ist den Erwägungen des Berufungsgerichts nicht gefolgt und hat es abgelehnt, die sog. "Gründungstheorie" zugunsten der Klägerin anzuwenden. Er hat vielmehr im Anschluss an seine bisherige Rechtsprechung die Klägerin als schweizerische Aktiengesellschaft wegen des – unterstellten – Verwaltungssitzes in Deutschland als aufgelöst angesehen, sie aber als eine in Deutschland klagebefugte Personengesellschaft behandelt. Er hat es abgelehnt, die Schweiz - wie das Oberlandesgericht Hamm in der Vorinstanz - wegen deren dem Recht der EU weitgehend angeglichenen Rechts in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit wie einen EU-Staat zu behandeln; dass die Schweiz als einziger Mitgliedstaat der EFTA das Abkommen über den EWR nicht unterzeichnet habe, aus der sich die Niederlassungsfreiheit auch für die Unterzeichnerstaaten der EFTA ergebe, müsse respektiert werden und dürfe nicht durch eine auf allgemeine Erwägungen gestützte Anwendung dieser Regeln unterlaufen werden. Der Forderung, die für Gesellschaften aus Staaten außerhalb der EU und des EWR geltende "Sitztheorie" grundsätzlich zu verwerfen und alle ausländischen Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland in ihrer jeweiligen Rechtsform anzuerkennen, hat der Senat nicht entsprochen. Er hat es ausdrücklich abgelehnt, insoweit dem Gesetzgeber vorzugreifen, der zwar einen Referentenentwurf zum internationalen Privatrecht der Gesellschaften vorgelegt hat, mit dem die "Sitztheorie" abgeschafft werden soll, gegen den sich aber beträchtlicher politischer Widerstand gebildet hat, so dass die Verwirklichung des Vorhabens offen ist. Die Klage ist im Ergebnis abgewiesen worden, weil die Klägerin nicht Partnerin des Mietvertrages geworden war, aus dem sich die eingeklagten Ansprüche ergeben sollten.
Urteile vom 27. Oktober 2008 - II ZR 158/06 und II ZR 290/07
[PM BGH Nr. 197/2008 vom 27. Oktober 2008]