Es ist keine Seltenheit, dass ein Erblasser Verwandte aus der Erbfolge ausschließt. Doch wie ist das rechtlich zu beurteilen, wenn die gesamte Verwandtschaft ausgeschlossen wird? Ist diesem Willen buchstäblich zu folgen? Oder lässt die Formulierung einen Interpretationsspielraum zu? Das hatte das Oberlandesgericht Stuttgart zu entscheiden und urteilte: Es kommt darauf an!

 

Die Erblasserin hatte in ihrem Testament „alle Verwandten und angeheirateten Verwandten“ von der Erbschaft ausgeschlossen. Diese seien „mitleidlos gegenüber unserem Betreibungsschicksals gewesen“. Und weiter: „Wir wurden von den Verwandten lächerlich gemacht! Das tut sehr weh!“.

 

Trotz dieser klaren Worte beantragte der Bruder der Erblasserin das alleinige Erbe. Das Land Baden-Württemberg vertrat allerdings die Ansicht, das Erbe falle an den Staat, denn die Verwandten seien ja komplett als Erben ausgeschlossen worden.

 

Das OLG sagte aber nein. Zwar könne ein Erblasser durchaus alle Verwandten von der Erbschaft ausschließen. Er müsse dann auch nicht weitere Erben nennen. Von solchen Fällen müsse aber die Formulierung stets im Zusammenhang mit dem gesamten Testament gesehen werden, auch wenn sie eigentlich klar und eindeutig scheint. „Was wollte der Erblasser mit seinen Worten sagen?“ Diese Frage steht im Vordergrund, so das OLG. Der wirkliche Wille geht dem buchstäblichem vor.

 

Dem im Testament wiedergegebenen Motiv der Erblasserin für den Ausschluss „der Verwandten“ lässt sich nach Ansicht des OLG entnehmen, dass die Erblasserin mit dem Personenkreis ihren Bruder nicht mit umfasst wissen wollte. Im Testament unterscheidet die Erblasserin den mit „wir“ beschriebenen Personenkreis von dem der „Verwandten“. „Verwandte“ sind diejenigen, die sich nach Vorstellung der Erblasserin nicht hinreichend empathisch mit dem vertriebenen Schicksal gezeigt haben. „Wir“ umfasst diejenigen, die dieses Schicksal innerhalb der Familie selbst erlitten haben. Die Differenzierung nach diesen Personengruppen zeigt sich deutlich in dem Satz „Wir wurden von den Verwandten lächerlich gemacht!“ Dass die Erblasserin den Bruder nicht zu „den Verwandten“, sondern zu dem in der ersten Person Plural umschriebenen Personenkreis zählte, wird im Satz „unser Leben ist eine offene Wunde, sagte unsere leidgeprüfte tapfer geduldige Mutter!“ deutlich.

 

Zwar konnte bei der so vorgenommenen Auslegung die von der Erblasserin getroffene Regelung kaum praktisch relevant werden, denn der Bruder wäre als einziger gesetzlicher Erbe der zweiten Ordnung auch ohne die Verfügung Alleinerbe geworden. Die Ausschlussregelung hätte im Fall seines Vorversterbens oder für den Fall seiner Erbschaftsausschlagung aber dennoch Bedeutung erlangen können. Ebenso ist denkbar, dass die Erblasserin bei der Regelung von der irrigen Vorstellung ausging, dass die genannten Verwandten neben dem Bruder primär zu Erben berufen werden könnten.

 

Letztlich wollte das OLG auch nicht ausschließen, dass die Erblasserin schlicht das von ihr empfundene Unrecht im Wege des Testaments noch einmal ausdrücklich betonen wollte, auch wenn sich die getroffene Regelung auf die erbrechtlichen Folgen ihres Ablebens nicht auswirken sollte.

 

[OLG Stuttgart, Beschluss vom 23.11.2020, Az. 8 W 359/20]