Fahrzeughersteller sind in der Haftung, wenn sie unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut haben. Dazu gehört auch die Verwendung eines sog. „Thermofensters“.

 

Bislang konnten Kunden nur dann erfolgreich auf Schadensersatz klagen, wenn der Autobauer bewusst und gewollt die Käufer auf sittenwidrige Weise getäuscht hat, so beispielsweise bei dem Skandalmotor EA189. Nach dem EuGH genügt jetzt auch fahrlässiges Handeln.

Aber was heißt das für die Autokäufer?

 

[1] Es muss nachweisbar eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut werden. Dazu gehören auch Thermofenster. Das kann ggf. durch einen Sachverständigen im Einzelfall nachgewiesen werden, wenn nicht der Hinweis auf die Typenbezeichnung ausreicht.

 

[2] Die Klage muss rechtzeitig erhoben werden oder erhoben worden sein, weil grundsätzlich Verjährung droht.

 

Im Gegensatz bei sittenwidrigem Verhalten, das in der Regel auf Straftatbestände zum Schutze des Käufers beinhaltet, ist bei fahrlässigem Handeln eher von der üblichen gesetzlichen Verjährungsfrist von drei Jahren ab Kaufdatum auszugehen.

 

Wir prüfen derzeit die Fälle, bei denen wir noch Verfahren bei Gericht laufen haben, ob hier nicht zwischenzeitlich die einfache Fahrlässigkeit zum Nachweis des Schadensersatz ausreicht.

 

Jeder, der ein Dieselfahrzeug gekauft hat, sollte prüfen, ob ihm Rechte wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung zustehen und wann diese verjähren. Unter Umständen sollte der Käufer das Fahrzeug zum bezahlten Kaufpreis (abzüglich gefahrener Kilometer) zurücktauschen.

 

Von dem Urteil des EuGH dürften fast alle namhaften Autohersteller betroffen sein. Konkret ging es in dem entschiedenen Fall um ein Mercedes-Fahrzeug.

 

Pressemitteilung EuGH Nr. 51/23 vom 21.03.2023:

 

Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-100/21 | Mercedes-Benz Group (Haftung der Hersteller von Fahrzeugen mit Abschalteinrichtungen)

Der Käufer eines Kraftfahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung hat gegen den Fahrzeughersteller einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist

 

Neben allgemeinen Rechtsgütern schützt das Unionsrecht auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist

 

Das Landgericht Ravensburg (Deutschland) ist mit der Schadensersatzklage einer Privatperson (QB) gegen Mercedes-Benz Group befasst. Diese Klage ist auf den Ersatz des Schadens gerichtet, den Mercedes-Benz Group dadurch verursacht haben soll, dass sie das von QB erworbene Dieselkraftfahrzeug mit einer Software ausgerüstet habe, mit der die Abgasrückführung verringert wird, wenn die Außentemperaturen unter einem bestimmten Schwellenwert liegen. Eine solche Abschalteinrichtung, die höhere Stickstoffoxid (NOx)-Emissionen zur Folge habe, sei nach der Verordnung Nr. 715/2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen verboten.

 

Im deutschen Recht kann bei einfacher Fahrlässigkeit ein Schadensersatzanspruch gegeben sein, wenn gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstoßen wurde. Daher fragt das deutsche Gericht den Gerichtshof, ob die maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie 2007/46 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen (im Folgenden: Rahmenrichtlinie) in Verbindung mit der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen sind, dass sie die Einzelinteressen eines individuellen Käufers eines solchen Fahrzeugs schützen. Was die Berechnung des QB eventuell geschuldeten Schadensersatzes betrifft, möchte das Landgericht Ravensburg außerdem wissen, ob es für die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts erforderlich ist, dass eine Anrechnung von Nutzungsvorteilen auf diesen Schadensersatzanspruch unterbleibt oder nur in eingeschränktem Umfang erfolgt.

 

In seinem Urteil erläutert der Gerichtshof zunächst, dass es Sache des deutschen Gerichts ist, die Tatsachenfeststellungen zu treffen, die für die Feststellung erforderlich sind, ob die in Rede stehende Software als Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung Nr. 715/2007 einzustufen ist und ob ihre Verwendung gemäß einer der Ausnahmen gerechtfertigt werden kann, die diese Verordnung vorsieht1 .

 

Was die Rechtsgüter betrifft, die neben dem allgemeinen Ziel, ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen, durch 1 Vgl. hierzu die Urteile des Gerichtshofs vom 14. Juli 2022, GSMB Invest, C-128/20 (siehe Pressemitteilung Nr. 124/22), und vom 17. Dezember 2020, CLCV u. a. (Abschalteinrichtung für Dieselmotoren), C-693/18 (siehe Pressemitteilung Nr. 170/20). Direktion Kommunikation Referat Presse und Information curia.europa.eu Bleiben Sie in Verbindung! die Verordnung Nr. 715/2007 geschützt werden, berücksichtigt der Gerichtshof den weiteren Regelungsrahmen für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen innerhalb der Union, in den sich diese Verordnung einfügt. In diesem Zusammenhang weist er darauf hin, dass Fahrzeuge gemäß der Rahmenrichtlinie einer EG-Typgenehmigung bedürfen, die nur erteilt werden kann, wenn der Fahrzeugtyp den Bestimmungen der Verordnung Nr. 715/2007, insbesondere denen über Emissionen, entspricht. Darüber hinaus sind die Fahrzeughersteller nach der Rahmenrichtlinie verpflichtet, dem individuellen Käufer eine Übereinstimmungsbescheinigung auszuhändigen. Mit diesem Dokument, das u. a. für die Inbetriebnahme eines Fahrzeugs vorgeschrieben ist, wird bestätigt, dass dieses Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entspricht. Durch die Übereinstimmungsbescheinigung lässt sich somit ein individueller Käufer eines Fahrzeugs davor schützen, dass der Hersteller gegen seine Pflicht verstößt, mit der Verordnung Nr. 715/2007 im Einklang mit stehende Fahrzeuge auf den Markt zu bringen.

 

Diese Erwägungen führen den Gerichtshof zu dem Schluss, dass die Rahmenrichtlinie eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Automobilhersteller und dem individuellen Käufer eines Kraftfahrzeugs herstellt, mit der diesem gewährleistet werden soll, dass das Fahrzeug mit den maßgeblichen Rechtsvorschriften der Union übereinstimmt. Dementsprechend schützen nach Auffassung des Gerichtshofs die Bestimmungen der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit denen der Verordnung Nr. 715/2007 neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Die Mitgliedstaaten müssen daher vorsehen, dass der Käufer eines solchen Fahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadensersatz hat.

 

In Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften über die Modalitäten für die Erlangung eines Schadensersatzes durch die betreffenden Käufer wegen des Erwerbs eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüsteten Fahrzeugs ist es Sache jedes einzelnen Mitgliedstaats, diese Modalitäten festzulegen. Der Gerichtshof weist allerdings darauf hin, dass die nationalen Rechtsvorschriften es nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen, für den dem Käufer entstandenen Schaden einen angemessenen Ersatz zu erhalten. Es kann auch vorgesehen werden, dass die nationalen Gerichte dafür Sorge tragen, dass der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt. Im vorliegenden Fall wird das Landgericht Ravensburg zu prüfen haben, ob die Anrechnung des Nutzungsvorteils für die tatsächliche Nutzung des in Rede stehenden Fahrzeugs durch QB diesem eine angemessene Entschädigung für den Schaden gewährleistet, der ihm tatsächlich durch den Einbau einer nach dem Unionsrecht unzulässigen Abschalteinrichtung in sein Fahrzeug entstanden sein soll.

 

HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.