Patienten haben bei ärztlichen Behandlungsfehlern einen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz. Für die Höhe der Bemessung dieser Ansprüche stellt man auf Schmerzensgeldtabellen ab, welche zwar nicht verbindlich, aber eine gute Orientierungshilfe sind. Doch wie sieht es mit atypischen Behandlungsfehlern aus?
Anlass dieser Fragestellung ist ein Fall, zu dem ein Urteil des OLG Stuttgart erging. In diesem musste sich eine Frau aus Aalen einer Nierensteinoperation unterziehen. Dafür suchte sie sich das Bundeswehrkrankenhaus in Ulm aus. Zwar ist die OP gut verlaufen, doch was der Patientin nach zwei Monaten mitgeteilt worden ist, schockierte diese: Während der Operation hat das OP-Team versehentlich eine fast zwei Zentimeter lange Nadel im Lendenmuskel der Patientin vergessen. Dies stellte sich erst bei der Röntgennachuntersuchung heraus. Den Ärzten nach könne man die Nadel nicht entfernen, da die Operation dazu viel zu riskant sei.
Dies ließ die Patientin nicht so auf sich sitzen und verklagte den Träger des Bundeswehrkrankenhauses Ulm, den Bund. Sie forderte Schadensersatz und Schmerzensgeld, da ihr durch den Behandlungsfehler 2.000 € Zusatzkosten entstanden seien und sie nach der OP mit Einschränkungen und Ängsten leben müsse. So solle die Patientin als Folge der OP keine sportlichen Aktivitäten ausüben, die zu Stürzen führen könnten, wie Inline-Skaten oder Reiten, was sie in ihrer Lebensführung einschränke. Zudem müsse sie sich zur Beobachtung der Lage der Nadel in Zukunft regelmäßig röntgen lassen.
Die erste Instanz, das LG Ulm, verurteilte den Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 13.000 €, wogegen dieser in die Berufung ging.
Die Berufungsinstanz, das OLG Stuttgart, gab dem LG Ulm weitgehend recht und verurteilte den Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 12.000 €. Weiterhin müsse der Beklagte der Patientin alle künftigen Schäden ersetzen. Das Schmerzensgeld wurde etwas niedriger festgesetzt und der Behandlungsfehler wurde nicht als „grob“ eingestuft, da die Patientin keine Schmerzen von der Nadel verspürt. Zur Begründung verwies das Gericht auf die vom BGH entwickelten Grundsätze, nach denen Ärzte Sicherheitsvorkehrungen gegen das Zurücklassen von Fremdkörpern im Operationsgebiet treffen und alle Instrumente nach einer OP auf ihre Vollständigkeit überprüfen müssten. Dass die Nadel überhaupt in den Körper der Patientin gelangt und dass sie erst zwei Monate später darüber informiert worden ist, sei unerheblich. Der Behandlungsfehler liege allein im Zurücklassen der Nadel in der Patientin.
Weiterhin verwies das OLG auf Handlungsempfehlungen vom Aktionsbündnis Patientensicherheit vom Jahre 2010, nach dem eine Zählkontrolle durchgeführt werden müsse. Der Bund meint allerdings nach wie vor, nicht zu Zählkontrollen verpflichtet zu sein. Nach dem Urteil sollte dem Bund einleuchten, dass es so nicht geht.
[Quellen: https://www.haufe.de/recht/weitere-rechtsgebiete/allg-zivilrecht/schmerzensgeld-wegen-vergessener-op-nadel_208_480914.html (Stand 21.04.2023); OLG Stuttgart, Urteil v. 20.12.2018, 1 U 145/17]