RA Rafael Fischer | Baurecht

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Sachsen-Anhalt hat jetzt entschieden: die sofortige Vollziehung von Beseitigungsverfügungen aus brandschutzrechtlichen Gründen setzt voraus, dass die von dem Bauwerk ausgehende Gefahren sofortiges Einschreiten erfordert. Dies schließt auch ein, zu prüfen, ob die Gefahrenlage für die Dauer des Hauptsacheverfahrens durch anderweitige ergänzende Maßnahmen der Gefahrenabwehr begegnet werden kann, etwa durch Erlass einer Nutzungsuntersagung.

 

Zum Fall:

 

Der Antragssteller ist Eigentümer eines Grundstücks, dass Straßenseiten mit einem mehrgeschossigen Gebäude bebaut ist. Im Erdgeschoss dieses Gebäudes betreibt er ein Bistro. Bei Kontrollen vor Ort stellte die Antragsgegnerin, die Stadt, fest, dass an der rückwertigen Gebäudeseite eingeschossiger Anbau mit Pultdach mit einer Grundfläche errichtet worden war. Die Stadt gab dem Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung eines Zwangsgeldes auf, den Anbau vollständig zurückzubauen. Zur Begründung führte die Stadt aus, dass der Anbau ohne die erforderliche Baugenehmigung errichtet worden sei und nachträglich nicht genehmigt werden könne. Die Anforderungen an den Brandschutz, an Rettungswege und an Brandwände würden nicht erfüllt. Anordnung der sofortigen Vollziehung sei im öffentlichen Interesse geboten. Aufgrund der Gefährdungslage für die Gäste und Bewohner des Grundstücks sowie des Nachbargrundstücks sei der weitere Bestand des Anbaus als Aufenthaltsraum nicht zu verantworten. Im Brandfall sei mit hinreichender Sicherheit Schäden an Leib, Leben und Gesundheit dieser Personen zu befürchten. Bei Beachtung der Länge eines Rechtsmittelverfahrens könne die bestehende Gefahr nicht in geeigneter Weise abgewendet werden, wenn der Widerspruch aufschiebende Wirkung habe. Der entstehende finanzielle Verlust durch den Rückbau sei vorliegend nicht zu berücksichtigen, da dieser Verlust auf der rechtswidrigen Errichtung und Nutzung beruhen würde und in die Verantwortungssphäre des Antragsstellers fällt.

 

Das OVG hat in zweiter Instanz zunächst den eingangs geschilderten Grundsatz bekräftigt. Dann lässt es aber eine Ausnahme zu: etwas anderes könne nämlich bei verhältnismäßig geringfügigen Auswirkungen einer Beseitigungsverfügung gelten, namentlich dann, wenn eine bauliche Anlage, ohne Substanzverlust beseitigt werden kann und keine erheblichen Aufwendungen für die Entfernung und Lagerung der Anlage entstehen. Das sah das OVG hier als gegeben an.

 

Es hat dann noch ergänzt: Zwar könne die Bekämpfung einer negativen Vorbildwirkung ein besonderes Interesse am Sofortvollzug einer Beseitigungsanordnung begründen. Dies setzt allerdings voraus, dass die Vorbildwirkung eines illegal ausgeführten Vorhabens eine Nachahmung in solchem Maße schon bis zum bestands- und rechtskräftigen Abschluss der Hauptsache befürchten lässt, dass der Ausweitung der Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung rasch vorgebeugt werden muss.

 

Im konkreten Fall hat das OVG eine solche Gefahr nicht gesehen. Hier fehle es an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass von dem streitigen Anbau bereits vor einem bestands- oder rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens eine konkrete Nachahmungsgefahr ausgehen. Die Antragsgegnerin habe nicht gezeigt, dass in der näheren Umgebung bereits vergleichbaren Anbauten (und Gaststätten) errichtet wurden, für die der streitige Anbau Vorbild gewesen sein könnte. Aufgrund der Lage des Anbaus an der zur Straße abgewandten Seite des Hauptgebäudes könne auch nicht ohne weiteres angenommen werden, dass der Anbau andere Personen dazu verleiten könnte, einen solchen Anbau auf ihrem Grundstück zu errichten. Die von der Antragsgegnerin ins Feld geführte abstrakte Gefahr, dass andere Grundstückeigentümer, insbesondere Gastronomen oder sonstige Gewerbetreibende, dazu ermuntert werden könnten, illegal bauliche Anlagen zu errichten oder zumindest für einen gewissen Zeitraum zu nutzen, genüge nicht.

 

[OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29.09.2021 Az. 2 M 64/21]